Eine Idee des Kölner Künstlers Gunter Demnig, die seit Jahren deutschlandweit und in Europa großen Zuspruch findet,  ist die Verlegung von Stolpersteinen, kleinen, 10×10 cm großen Messingplatten vor den letzten Wohnsitzen  zu Tode gekommener Opfer des Nationalsozialismus. Die Steine sollen erinnern an jüdische Bürger, Sinti und Roma, politisch Verfolgte, religiös Verfolgte, Euthanasieopfer, etc.  Anliegen des Projektes ist es,  die Namen und die Umstände ihres Todes nicht zu vergessen. Inzwischen gibt es mehr als 22 000 Steine, darunter in unserer näheren Umgebung in Petershagen-Eggersdorf, Strausberg, Letschin, Erkner u.a.

In diesem Jahr 2010,  65 Jahre nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus,  ist es ein guter  Zeitpunkt, auch in unserer Stadt Altlandsberg und im Ortsteil Bruchmühle einiger Opfer zu gedenken. Die Idee dazu kam vom Ortsbeirat Bruchmühle und vom Stadtverband der LINKEN in Altlandsberg. Am 25.März 2010 haben die Stadtverordneten einstimmig der Verlegung von 5 Stolpersteinen, im öffentlichen Raum zugestimmt. Darunter zwei in Bruchmühle und 3 in Altlandsberg für die jüdische Familie Borkowsky. Es wird ein Anfang sein und sicher werden noch mehr Steine folgen.

Eine Vorbemerkung:

Alles, was hier dargelegt wird, ist das Ergebnis von Recherchen in den verschiedensten Archiven: im Bundesarchiv, im Landesarchiv Brandenburg, bei der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, bei den verschiedenen Haftanstalten und in anderen Veröffentlichungen. Besonderer Dank gilt der Chronikgruppe des Jugend- und Kulturvereins Bruchmühle e. V., deren historische Unterlagen den Anstoß zu den Nachforschungen gaben.

Der erste Stolperstein soll für Margarete Näfe vor ihrem letzten Wohnsitz in Radebrück 23 (früher 27) gelegt werden

Am Freitag, dem 8. Dezember 1944, sitzt in einer Zelle im Berliner Zuchthaus Plötzensee eine junge Frau, 39 Jahre alt. Sie ist an Händen und Füßen gefesselt, seit ihrer Verhaftung am 9. August 1943, also seit fast eineinhalb Jahren. Nun versucht sie, ihren Abschiedsbrief zu schreiben, denn sie wurde hierher gebracht, um an diesem Vormittag noch unter dem Fallbeil zu sterben. Dieses Fallbeil ist der französischen Guillotine nachempfunden, die 150 Jahre zuvor erdacht wurde. Jetzt heißt sie „Badische Guilllotine“, trägt einen „teutschen“ Namen und wird seit 1940 von den Nazis verstärkt eingesetzt, um die vielen zum Tode verurteilten Widerstandskämpfer zu ermorden. Doch auch dieses Instrument reicht bald nicht mehr aus und so wurden in den Hinrichtungsstätten, nicht nur in Plötzensee, neben der Guillotine auch noch Balken errichtet, an denen bis zu 8 Menschen gleichzeitig durch Erhängen getötet werden können.

Margarete Näfe schreibt nur einen kurzen Brief, 6 Zeilen:

Näfe, Margarete, Berlin-Plötzensee, Königsdamm 7, den 8.12. 1944,

Liebe Eltern! Habt nochmals Dank für all Eure Liebe und Güte, die ich im Elternhause erleben durfte. Grüßt auch Herbert und Gertrud aufs Herzlichste. Wenn Ihr diese Zeilen erhaltet, bin ich nicht mehr.

In Gedanken bin ich bei Euch und umarme und küsse meine lieben Eltern. Bitte verzeiht mir und behaltet immer lieb

                                               Euer Gretchen

(Der Brief war beglaubigt einem Schreiben des Anwalts der Mutter beigefügt.)
Was war ihr Verbrechen?

In einem gemeinsamen Prozess  mit dem Kommunisten Richard Jänsch aus Bruchmühle und dessen Ehefrau Elli, dem Fleischer Franz Lahde aus Petershagen, dem Tischler Paul Grascha aus Neuenhagen wurden Margarete Näfe,  Richard Jänsch und Franz Lahde  am 3. November 1944 von dem 2. Senat des Volksgerichtshofes wegen Vorbereitung zum Hochverrat und Feindbegünstigung nach StGB §§ 80,83 und 91 zum Tode verurteilt. Die übrigen Angeklagten, Elli Jänsch und Paul Grascha erhielten 2 Jahre Gefängnis bzw. 3 Jahre Zuchthaus. Der Gärtner Richard Hertz aus Vogelsdorf, der mit ihnen Anfang August 1943 verhaftet worden war, starb bereits im Frühjahr 1944 in der Untersuchungshaft, sicher an den Folgen von Folter.

Frau Näfe, parteilos, hatte über einige Monat hinweg, von Februar bis August 1943 ihre Wohnung in Radebrück 27 (heute 23) zur Verfügung gestellt, damit sich die Gruppe um Richard Jänsch mit Ostarbeitern und französischen Kriegsgefangenen treffen konnte. Sie hörten englische und russische Sender. Margarete hatte die Sendezeiten in ihrem Notizbuch aufgeschrieben, das man bei ihr fand. Ein weiteres Verbrechen war, dass sie zusammen mit Richard Jänsch und anderen mehrere Juden, die sich in Petershagen versteckt hielten, mit Lebensmitteln versorgte und von Feindflugzeugen abgeworfene Flugblätter aufbewahrt hatte. Und sie hatte „als deutsche Frau ein unwürdiges Verhältnis mit einem der Ostarbeiter“, dem auf ihrem Hof wohnenden und arbeitenden Sergej Ognew.

Genau 20 Zeilen lang ist die Schilderung dieser „Verbrechen“ im Urteil. 20 Zeilen, die ausreichten, um das Todesurteil zu begründen.

Seit der Verhaftung am 9. August 1943 hatte sie schon mehr als ein Jahr Untersuchungshaft hinter sich, war lange im Gefängnis Alt-Moabit eingekerkert, unter der Gefangenenbuch-Nr. 1402. Von dort aus schrieb sie im Februar 1944, vermutlich zum Geburtstag ihrer Mutter:

Meine liebe Mutti!

Zum heutigen Tage meine innigsten Glückwünsche. Glaube mir, am liebsten wäre ich bei Dir, so wie es immer war. Vielleicht bin ich bald bei Dir, dann wird alles nachgeholt. Anbei eine kleine Aufmerksamkeit. Aber nur für Dich! Die Blumen sollen Dich an mich erinnern, ich habe Angst, Du vergisst mich sonst. Ich umarme Dich und Pappa viele male. Seid auch beide vielmals begrüßt und geküsst, bis auf ein baldiges Wiedersehen!

                                                                                  Gretchen

Entschuldigt die Schrift, aber Tinte und Feder sind schlecht,, außerdem werde ich immerzu gestört.Und dann im Juni 1944 in einem Brief an ihre Eltern:

25.6.1944, Berlin NW 40, Alt Moabit 12 a, Zug-Nr. 1402/43

Liebe Eltern, für Euren gestrigen Besuch danke ich euch vielmals, Hoffentlich hat sich Mutti über mein Äußeres beruhigt. Es wird schon wieder heil werden. Wenn Euch dieser Brief erreicht, ist bestimmt Herbert und Gertrud schon im Urlaub bei Euch. Arbeitet man fleißig und verlebt angenehme Tag miteinander. Wenn das Wetter gut ist, wird es ja wunderschön sein. Hoffentlich werdet Ihr auch mal an mich denken. Oftmals habe ich das Gefühl, dass Ihr mich schon ein bisschen vergessen habt. Denn fast 11 Monate Trennung, da kann man schon so langsam vergessen werden! Denn leider ist mein letzter Brief an Herbert noch unbeantwortet. Zeit zum Grübeln habe ich ja und ziehe dann Schlüsse. Laßt Euch die Erdbeeren und Kirschen man gut schmecken. Dann habe ich noch eine Bitte, sprecht doch bitte mit Gerstmann über Eure Angelegenheit und teilt mir mal seine Meinung in Eurer Angelegenheit mit. Grüßt nun alle Freunde und Bekannte herzlichst von mir. Herzliche Grüße auch an Herbert und Gertrud. Euch beiden tausend Grüße und Küsse, in Gedanken umarme ich Euch Euer    Gretchen

Ich habe nur einen Wunsch! Die Sehnsucht ist so furchtbar, wenn man die Sonne scheinen sieht und die Vögel singen hört. Nach Hause!

(Abschriften  waren als Anlage an einem Brief von Rechtsanwalt Dr. Walke, Bernau, Berliner Str. 25,

Datum  vom 13.1. 1947, an die Provinzialverw. Brandenburg, Sozialverwaltung,  Hauptausschuss für Opfer des Faschismus

Inhalt: Antrag auf Anerkennung  von Frau Else Tietz, geb. 6.2.1901,  Mutter von M. Näfe als OdF, weitergehender Schriftwechsel folgte,  die Anerkennung von Frau Tietz wurde 1952 zurückgenommen.)

Margarete Näfe muss in der Haft  gefoltert worden sein, denn die Umschreibung: „Wird schon wieder heil werden“ lässt darauf schließen. In Moabit gab es eine Gefängniswärterin, Frau Hedwig H., die sich ihr gegenüber aber menschlich verhalten haben muss, denn die Mutter, Else Tietz, benennt diese Frau noch 1947 als Zeugin für das Verhalten ihrer Tochter im Gefängnis. Frau H. bestätigt der Mutter, dass sie sich während der Haft rührend um ihre Tochter Margarete gekümmert habe. Dafür spricht auch der herzliche Ton der Briefe an die Eltern.

Von Moabit aus wurde sie nach der Verurteilung Anfang November 1944 in das Frauengefängnis Barnimstraße in Berlin gebracht. Dieses Gefängnis war für mehr als 300 Frauen die letzte Station vor ihrer Hinrichtung in Plötzensee. Ob sie dort die Zelle verlassen durfte, war nicht zu erfahren, nur, dass sie bis zum Schluss an Händen und Füßen gefesselt blieb. Das war eine zusätzliche Folter neben der Einsamkeit in der Einzelzelle.

Am Morgen des 8. Dezember 1944, um 8 Uhr, wurde sie nach Plötzensee „überstellt“, wie es im Amtsdeutsch hieß. Das besagt die Gefangenenkarte, gelbe Karteipappe, säuberlich in Sütterlin-Handschrift ausgefüllt, Gefangenenbuch-Nr. 1861/44. Und dann steht da noch lapidar der Vermerk: Hingerichtet 8.12.44. Da es ein Freitag war, arbeitete der Henker sicher nur bis Mittag. Über ihn findet man in der Gedenkstätte Plötzensee die Aussage:

Normalerweise kam der Henker zweimal die Woche. Er hieß Röttger. Er schlich mehr als er ging. Immer trug er eine dreiviertellange Joppe. Was mochte in ihm vorgehen? Tausende hatte er hingerichtet. Unschuldige. Für jeden Kopf hatte er 80 Mark Prämie kassiert. Und Sonderrationen Zigaretten. Immer hatte er eine Zigarette im Mund. Seine Helfer waren große und starke Männer, sie mussten die auf dem Rücken gefesselten Opfer aufs Schafott befördern. Zwei Wachtmänner führten die Todeskandidaten von der Zelle zum Hinrichtungsschuppen. Dort gab es für jeden 8 Zigaretten.

Wer war diese junge Frau Margarete Näfe, wie hatte sie gelebt, bevor sie sich der Gruppe um R. Jänsch anschloss?

Sie wurde am 20. März 1905 in Berlin geboren, besuchte die Volksschule und ein Jahr die Handelsschule, dann arbeitete sie bis zu ihrer ersten Verheiratung im Jahre 1925 als Stenotypistin und später als Verkäuferin. Diese erste Ehe wurde im Jahre 1931 geschieden und 1933 heiratete sie erneut, den 17 Jahre älteren Schlächtermeister Oswald Näfe aus Radebrück. Das wissen wir aus den Gerichtsakten .

Sie war also eine ganz normale junge Frau, mit einem ganz normalen Leben.

Ihr Mann schreibt in seinem Lebenslauf 1947, dass er als 3. Kind des Gutsbesitzers Adolf Näfe am 5.1. 1888 in Reichenbach geboren wurde, die Volksschule besuchte und das Fleischerhandwerk erlernte. Während des 1. Weltkrieges war er von 1914 bis 1918 Soldat und von Juni 1944 an war er bei der Wehrmacht, bei einem Marine -Ersatzbataillon in Swinemünde.

Auch er war bereits einmal verheiratet gewesen und hatte aus dieser ersten Ehe einen Sohn.

Seine 2. Ehe mit Margarete Näfe blieb kinderlos.

Politisch war er aktiv von 1912 -1929 im sozialdemokratischen Wahlverein und dann in der USPD, gewerkschaftlich organisiert im Zentralvorstand der Fleischergewerkschaft und auch Betriebsrat in den EFA Werken in Berlin – Britz.

Er schreibt von sich, dass er nach 1933 in Schutzhaft genommen wurde und dann wieder frei kam. Seit Beginn des 2. Weltkrieges habe er gemeinsam mit seiner Frau und Gesinnungsgenossen in Bruchmühle Auslandsnachrichten gehört und verbreitet, Flugblätter weiter gegeben und auch versteckte Juden unterstützt. 1942 wurde er wegen Schwarzschlachtens verhaftet, die Fleischerlizenz wurde ihm entzogen und 1943 wurde er deshalb zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, die er bis Sommer 1944 absitzen musste. Nach dem er aus dem Gefängnis kam, hat er nachweislich nicht versucht, seine Frau zu besuchen, sondern er meldete sich im Juni 1944 freiwillig zur Wehrmacht.

Das bedeutete für ihn zweifellos eine gewisse Sicherheit, da seine Frau ja inhaftiert war. Sein nicht unbeträchtliches Vermögen, der Hof, das Vieh und 25 000,- RM in bar, war bei der Hausdurchsuchung nach der Verhaftung von Margarete Näfe vom Deutschen Reich eingezogen worden.

1947, nach Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft bemühte er sich um die Anerkennung als Opfer des Faschismus. Dem wurde nicht entsprochen, sicher deshalb, weil er wegen Schwarzschlachtens verurteilt worden war und nicht wegen politischer Gründe. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits 58 Jahre alt und ein wirtschaftlicher Neubeginn offensichtlich sehr schwer.

Die Mutter von Frau Näfe war, da sie sich sehr um ihre Tochter im Gefängnis gekümmert hatte, als Oper des Faschismus anerkannt worden. Das geht aus Briefen hervor, die ihr Rechtsanwalt zwischen 1946 und Ende 1947 an die Provinzialveraltung der Mark Brandenburg, Hauptabteilung OdF, geschrieben hat. 

Oswald Näfe bestritt nun die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung.

Margarete Näfe selbst hatte aber ganz klar geäußert, dass ihre persönlichen Sachen nach ihrer Hinrichtung an ihre Mutter auszuhändigen sind und nicht an ihren Ehemann. Sie wusste, dass er während ihrer Haftzeit ein Kind mit einer anderen Frau hatte und wollte sich scheiden lassen. Ein Schreiben des Vorstandes des Frauengefängnisses Barnimstraße vom 11.1.1945 bestätigt diese Festlegung.

Ein trauriger Streit zwischen den nächsten Angehörigen von Frau Näfe, der aber aus der Einsicht in die damaligen schwierigen Verhältnisse zu erklären  ist.

Zu Ehren von  Margarete Näfe wurde auf dem Friedhof in Bruchmühle 1984, ziemlich spät, ein Gedenkstein gesetzt.  Ob sie auch dort begraben ist, konnte bisher nicht herausgefunden werden. Die DFD-Gruppe in Bruchmühle trug ihren Namen. In unserer Nachbargemeinde Fredersdorf ist eine Straße nach ihr benannt worden.

Der zweite Stolperstein soll für Richard Jänsch in der Fichtestraße 15, früher Herbert-Norkusstraße,  gesetzt werden.

Richard Jänsch wurde am 23. Juni 1898 in Wolfshagen bei Altlandsberg geboren. Sein Vater arbeitete dort auf dem Gut und auch er war in jungen Jahren Landarbeiter. 1916 – 1918 war er im 1. Weltkrieg eingezogen worden und nach Kriegsende bei der Eisenbahn. 1921 heiratete er seine Frau Elli und bekam mit ihr eine Tochter Gertrud. Erst 1924 – 1927 konnte er in eine Lehre als Zimmermann gehen, die er mit der Gesellenprüfung abschloss. Dann, im Zuge der Weltwirtschaftskrise, versuchte er von 1929 bis 1930 in Nordamerika eine neue Existenz aufzubauen, was aber nicht gelang. Er kehrte zu seiner Familie zurück und war bis 1933 meist erwerbslos. Danach arbeitete er bis 1940 bei verschiedenen Firmen als Zimmermann. In Folge eines Unfalls konnte er diesen Beruf nicht mehr ausüben und bekam eine Unfallrente von 25 RM im Monat. Nach seiner Genesung führte er dann nur noch Gelegenheitsarbeiten aus, zeitweilig auch im Forsthaus Altlandsberg als Wachmann für französische Kriegsgefangene.

So steht es in den Gerichtsunterlagen und im Lebenslauf seiner Frau Elli.

Im Juni 1943 bis zu seiner Festnahme im August desgleichen Jahres war er als Gefreiter zur Luftwaffe eingezogen.

Seine politische Auffassung war in Bruchmühle bekannt. Er gehörte von 1931 – 1933 zur KPD- Ortsgruppe Bruchmühle. Dazu muss man wissen, dass es in Bruchmühle eine ziemlich große Gruppe von Menschen mit linken Auffassungen gab, die USPD – Ortsgruppe hatte viele Mitglieder und es gab einen großen sozialdemokratischen Wahlverein.

Seine Frau Elli schildert nach dem Krieg in ihrem Lebenslauf, dass ihr Mann zusammen mit anderen Kommunisten, vor allem Franz Lahde, Fleischer aus Petershagen und Arthur Hertz, Gärtner aus Vogelsdorf, während der ganzen Nazizeit sich heimlich in Wohnungen getroffen haben, Nachrichten ausgetauscht, die Zeitung „Rote Fahne“ und Flugblätter in Briefkästen gesteckt hatten. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion hörten sie den Moskauer Sender.

Die Gruppe hatte auch Verbindungen zu der großen Berliner Widerstandsorganisation um Anton Saefkow , Franz Jakob und Bernhard Bästlein. Diese Information habe ich über die VVN – Vereinigung der Verfolgten des  Naziregimes erhalten und sie steht im Biographischen Lexikon „Widerstand in Berlin gegen das NS-Regime 1933-1945“ (1. Aufl.).

Richard Jänsch war nach der Niederlage von Stalingrad davon überzeugt, dass Deutschland den Krieg nicht gewinnen kann und dass man etwas dafür tun muss, ihn möglichst schnell zu beenden. So trat er Mitte Februar 1943 an Margarete Näfe heran um mit dem bei ihr arbeitenden Ostarbeiter Sergej Ognew Kontakt aufzunehmen. Über ihn fand er Verbindung zu anderen Russen. Die Wohnung von Frau Näfe wurde zu einem wöchentlichen Treffpunkt, um Nachrichten zu hören und Informationen auszutauschen.

Frau Näfe wurde auch mit einbezogen, die in Petershagen versteckten jüdischen Familien zu unterstützen. Sie und Frau Jänsch haben Essen und Milch besorgt, Frau Jänsch hat Gemüse eingeweckt. Heimlich trafen sie die jüdischen Frauen im Wald und übergaben ihnen die Vorräte und auch Kleidung.

Richard Jänsch versuchte, die Ostarbeiter, mit denen er sich heimlich im Wald traf und die  französischen Kriegsgefangenen zu bewegen, langsamer zu arbeiten. Sie überlegten auch, wie kriegswichtige Anlagen, so z.B. das Kraftwerk Klingenberg, Flugplätze in Strausberg und Werneuchen, Bahnhöfe in Berlin, zerstört werden könnten.

Diese Feststellungen im Urteil des Volksgerichtshofes legen nahe, dass es ein Zusammenwirken mit der o.g. Berliner Widerstandsorganisation gegeben haben muß . Dies wurde aber zu damaliger Zeit nicht bekannt. Offensichtlich war es Richard Jänsch und seinen Kameraden Lahde und Grascha gelungen, trotz „verschärften Verhörs“ – in der Sprache der Gestapo die Umschreibung für Folter-  diese Verbindung geheim zu halten. Arthur Hertz aus Vogelsdorf, den Richard Jänsch ursprünglich als seinen Nachfolger in der Leitung der Gruppe gewinnen wollte, war während der Untersuchungshaft verstorben.

Vor Gericht haben sie verschiedene Versionen ihrer Arbeit dargestellt, teilweise zugegeben, sich widersprochen usw. Das Gericht hat in dem insgesamt 15 Seiten langen Urteil den Schluss gezogen, dass R. Jänsch

  • – eine kommunistische Gruppe gebildet habe, die bei einem gewaltsamen Umsturz mitwirken sollte
  • – Die vorgenannten Anlagen zerstören wollte
  • – Eine Pistole bei Franz Lahde versteckt hatte
  • – Die Ostarbeiter und die franz. Gefangenen aufforderte, langsamer zu arbeiten
  • – Mehreren Juden, die sich in Petershagen versteckt hielten, mit Lebensmitteln geholfen hatte

Das waren gemäß den damaligen Gesetzen schwerste Anschuldigungen, die auch gegenüber Franz Lahde geltend gemacht wurden. Die Verurteilung lautete Todesurteil und lebenslanger Ehrverlust.

Aus den Gerichtsunterlagen geht hervor, dass alle Mitglieder dieser Gruppe schon einige Wochen vor ihrer Verhaftung beobachtet worden waren  und auch Fotos gemacht wurden, die dann vor dem Volksgerichtshof als Beweismaterial vorgelegt wurden. Leider ist es bei allen Recherchen nicht gelungen, solche Fotos zu finden.

Nachdem Richard Jänsch dann im Juni 1943 eingezogen worden war, wurde die Gruppe sowie mehrere russische und französische Gefangene  am  7.August 1943 verhaftet. Auch die versteckten Juden wurden festgesetzt. Was aus diesen Menschen  geworden ist, ließ sich bis jetzt nicht feststellen.

Richard Jänsch saß von Anfang August 1943 bis Anfang November 1944 in Untersuchungshaft, in den Gefängnissen Tegel, Gefangenenbuch – Nr. 2617/43, und dann in Brandenburg vom 7.11. 1944 bis zu seiner Ermordung. Dort schrieb er an seine Frau Elli am Freitag, dem 1.12. 1944:

Liebe Elly!

Wenn du die Zeilen bekommst, bin ich nicht mehr und mein Zigeunerblut hat Ruhe. Ich haben einen guten Glauben und keine Angst vor dem Tod, schlimm waren die 17 Monate Einzelhaft und der Hunger.  Mein lieber Kamerad, traure nicht, Du warst mein Hafen, meine Heimat, ich habe  Dein Vertrauen nie missbraucht, es ist eben Schicksal. Für Dich waren diese Jahre eine gute Lehre……

Hole Rat vom Hans und grüße herzlich, mein Tod ist nicht vergebens, nur keine Trauer, kein Verzagen. Kopf hoch, zeige den Schergen nicht, dass es weh tut, ich wünsche Dir alles Gute und Segen für Dein Fortkommen.

Es küsst dich noch mal in Gedanken      Dein Mann

Offensichtlich hat er am nächsten Tag weitergeschrieben:

Ich denke Montag komme ich ran. Heute Sonnabend, jeden Montag hier Schlachtetag, nie vergessen Herrn Doktor Houblon, evangelischer Pfarrer in Tegel, ein wunderbarer Mensch, viel, viel Dank an ihn.

Meine liebe Elly, viel, viel Dank für Deine Liebe und Vertrauen zu mir. Alles Gute

                                                                Richard

Verkaufe nicht so schnell meine Sachen.

Er musste aber noch mehr als eine Woche warten und dann am Montag, dem 11.12.1944 ging er den letzten Weg. In seinem letzten Brief schrieb er: Liebe Elly!

Jetzt ist es soweit. In zwei Stunden habe ich es überstanden. Sieh, mein liebes Mädel, ein rascher Tod ist besser als ein lange, siecher Tod im Bett. Das Schicksal bestimmt es so, also nicht trauern, sonst weiß ich nichts Neues. ……

Ich rauche ruhig meine Zigaretten,5 Stück. Grüße alle noch schön von mir. Noch eine halbe Stunde. Werde nun schließen. Alles Gute.

Bin gefesselt, kann nicht besser schreiben. Nicht tiefsinnig werden. Jetzt kommen sie.

                                   Dein Mann Richard

Beim Lesen dieser Zeilen hab ich empfunden, wie lang ihm diese zwei Stunden am Montag früh geworden sein müssen und wie schwer es gefallen ist, überhaupt zu schreiben. In der Gefangenenliste von Brandenburg  gibt es auf Seite 11 vom Dezember 1944 unter der Nummer 199 die lapidare Feststellung: Todesurteil vollstreckt.

Für seine Frau Elli war der Leidensweg noch nicht zu Ende. Sie war  der Mitwisserschaft und Mittäterschaft beschuldigt worden und zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt. Sie hatte ihren Mann nicht angezeigt. Im Juristendeutsch hieß das im Urteil:

„Nichtanzeige eines hochverräterischen Unternehmens, gemäß § 139 StGB.“

Die Untersuchungshaft seit August 1943 wurde ihr angerechnet. Während dieser Zeit war sie inhaftiert in  den Gefängnissen Potsdam, in Berlin in  der Lindenstraße, in Moabit, in Charlottenburg und dann in Leipzig. Letzte Station war das Gefängnis von Nordhausen in Thüringen, aus dem sie nach einem Bombenangriff Ende April 1945 freikam. Da standen schon die Amerikaner vor der Tür. Sie schlug sich nach Berlin zu ihrer Tochter Gertrud Urban, geb. Jänsch durch und wohnte dann in Fredersdorf, Weberstraße 1 im Haus ihrer Schwester. Sie besuchte alte Freunde und Bekannte in Bruchmühle und Petershagen, von denen auch einige für sie bürgten. Dazu gehörten Bertha Lahde, deren Mann ebenfalls hingerichtet worden war ebenso wie Fritz Hans  und Hedwig Dechow aus Bruchmühle .

Ihrem Antrag auf Anerkennung als Opfer des Faschismus wurde zugestimmt. Sie arbeitete im DFD und in der DSF (Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische-Freundschaft) aktiv mit. Hochbetagt verstarb sie im Jahre 1984 im Alter von 82 Jahren in Fredersdorf.

Sie wurde neben ihrem Mann auf dem Friedhof in Bruchmühle beigesetzt. In Fredersdorf wurde eine Straße nach Richard Jänsch benannt. Und auch in der Bötzsee-Siedlung, Bruchmühle, gibt es eine Richard-Jänsch-Straße.

Am Montag, dem 5. Juli 2010 werden in Radebrück für Margarete Näfe  und in der Fichtestraße für Richard Jänsch zwei Stolpersteine gesetzt.

Wer die Stolpersteine betrachten will, muss sich bücken, er muss sich verneigen vor den Opfern und  um die Inschrift lesen zu können. Und er denkt beim sich Wiederaufrichten hoffentlich: „ Nie wieder, niemals wieder darf so etwas geschehen!“

Im Anschluß wollen wir auf unserem Friedhof in Bruchmühle, wo sich auch die Gräber der Familie Lahde befinden, Blumen niederlegen. Und auch an die Bruchmühler Bürger denken, die mutig mit einer weißen Fahne am Ortseingang in Richtung Eggersdorf  der vorrückenden Roten Armee entgegengingen.

Wir wollen auch an die 6 Soldaten denken, die einen Tag vorher, am 20. bzw. 21.4. im Wald bei Bruchmühle  durch die bereits abziehende SS erschossen worden waren.

Das waren Franz Lahde jun., 20 Jahre alt.

Grenadier Fritz Poggoda, 41 Jahre alt

Obergefreiter Kurt Breitwieser,

Leutnant Fritz Genoch,  30 Jahre alt

Stabsgefreiter Otto Lenz, 33 Jahre alt

Unteroffizier Berthold Penz, 23 Jahre alt.

Eva Rohmann

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